Der Verlobungsbraten.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Prager Tagblatt” vom 31.01.1903,
in: „Rostocker Anzeiger” vom 01.02.1903,
in: „Leipziger Tageblatt” vom 01.02.1903,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 03.02.1903,
in: „Badener Zeitung” vom 25.02.1903


Der Halbhufener Romeicke war in der ganzen Memelniederung als ein Witzbold und ein verschlagener Kopf bekannt. Sein Gehöft lag nur einen Büchsenschuß weit von der russischen Grenze; und obwohl Herr Jasch Romeicke durchaus nicht frei war von dem Verdachte, gelegentlich ein billiges Stück Fleisch, Geflügel oder einen kleinen Posten Saat-Kukuruz herüberzuschaffen, ohne die Zollbehörden damit zu belästigen, kehrten die Zollwächter auf ihren Patrouillengängen doch gern bei ihm ein. Es gab alleweil einen guten Spaß dort und einen womöglich noch besseren Machandel.

Namentlich der junge Zollamts-Assistent Anton Muschkat ließ sich des öfteren uaf dem Hofe sehen, und zwar nicht bloß wegen der guten Witze und der handlichen Gläschen Wacholderschnaps, die der Bauer seinen Gästen zu kredenzen pflegte. Fräulein Brona Romeicke war ein dralles, schmackes Mädel, mit Augen, so groß und blauschwarz wie Pflaumen, und einem Gesichtchen, das man feiner und hübscher selbst auf der Schloßplatz­promenade in Königsberg nicht treffen konnte. Und da es dem Assistenten Muschkat auch bekannt war, daß auf der Sparkasse in Schmalleningken mehrere tausend Taler Kurant lagen, von Frau Romeicke selig her, ganz abgesehen von dem, was Herr Jasch für sein einziges Töchterchen noch zusammenwirtschaftete, so hatten seine Besuche einen ganz reellen Hintergrund.

Die Geschichte wäre wohl auch schon ins Reine gekommen, wenn mit Jasch Romeicke auch nur ein einziges ernstes Wort zu sprechen gewesen wäre. Aber immer schwenkte er mit allerhand drolligen Einfällen oder knifflichen Bedingungen von einer ernsten Aussprache ab.

So auch heute wieder. Herr Muschkat hatte es besonders fein eingefädelt, um den Alten auf Umwegen, sozusagen „ums Eck herum”, mit einem Antrage zu überrumpeln und ihn endlich zu einem geraden und gesetzten Bescheide zu zwingen. Während er durch das Fenster dem Fräulein Brona zuschaute, die am Brunnen eigenhändig einen Milchzuber säuberte — denn sie war auch wirtschaftlich, und wie! — sprach er höchst eindrucksvoll von der Würde und den vielen sonstigen Vorzügen des Beamtenstandes. Eigentlich habe doch nur der Beamte eine absolut gesicherte Zukunft, und die angesehene soziale Stellung sei doch schließlich auch nicht zu verachten.

„Das ist schon richtig, Mannchen,” erwiderte Jasch Romeicke, indem er die Stummelpfeife in den rechten Mundwinkel hing, während der linke sich zu einem Banditenschmunzeln verzog, „die Beamten sind der Schmand auf der großen Milchsatte, die man Staat nent. Das andere alles ist Abgerahmtes. Und ich würde meine Marjell ganz gern einem Beamten geben — wenn nicht so dumme Menschen darunter wären — —”

„Erlauben Sie mal, Herr Romeicke — wie soll ich das verstehen? Dumme Menschen?”

„Na gewiß doch, mein Goldchen; und ganz besonders unter den Zollbeamten.”

Herr Anton Muschkat erhob sich und schluckte ein paar Mal, wie einer, der an einem zu großen Bissen würgt. Er hatte augenscheinlich eine recht wuchtige Abwehr dieses heimtückischen Ausfalles auf der Zunge. Aber nach einem Blick aus dem Fenster bezwang er sich und drehte die Sache auf die scherzhafte Seite.

„Nun ja —,” sagte er mit einem gezwungenen Lächeln, indem er an seinen Schwiegerpapa in spe näher herantrat; „so schlau wie ein ostpreußischer Landwirt können nicht alle Menschen sein; sonst hätten Sie ja vor den Anderen nichts voraus, Herr Romeicke. Aber —” fügte er mit einigem Nachdruck hinzu, „Sie müssen nicht alles für Dummheit halten, was sich ein bischen so anstellt. Und wenn man es sich auch nicht merken läßt — man weiß doch manches, wovon manche Leute glauben, daß man es nicht weiß. Und manche Leute könnten große Unannehmlichkeiten haben, wenn man alles sagen würde, was man weiß!”

„Zum Beispiel —?”

Anton Muschkat zog bedeutungsvoll die Achseln hoch und setzte sich wieder ans Fenster, um aus dem Anblick Fräulein Bronas Kraft zu saugen für die Abwehr weiterer Angriffe.

Letztere blieben wider Erwarten aus. Es entstand eine kleine Pause, und Herr Muschkat fing bereits an, zu bedauern, daß er sich zu Anzüglichkeiten hatte hinreißen lassen, die im Grunde gar nicht zu substanziieren waren. Er wollte bereits einlenken, als Romeicke das Wort ergriff.

„Sagen Sie mal — wenn mich nicht alles täuscht, wollen Sie meine Tochter heiraten — —”

„Ja, Herr Romeicke, ja — das möchte ich allerdings, und ich bitte Sie —”

„Bleiben Sie man sitzen, Herrche, und nehmen Sie noch einen Machandel. Nu passen Sie mal Achtung! Also schön — Sie sollen die Marjell haben, wenn Sie mir in einem besonderen Falle beweisen, daß Sie nicht dumm sind!”

Der Assistent fiel aus dem siebenten Himmel.

„Herr Romeicke,” sagte er, mit einem beweglichen Tremolo in der Stimme, „es ist sehr unrecht von Ihnen, mit meinem Herzen ein solches Spiel zu treiben —”

„Unsinn! Fällt mir nicht ein. Und damit Sie sehen, daß Sie mir als Schwiegersohn gar nicht so unlieb sind, will ich Ihnen die Geschichte besonders leicht machen. Dennoch wette ich mit Ihnen, daß Sie reinfallen. Ich werde binnen heute und drei Monaten von Rußland her etwas herüberschmuggeln — ich werde am Zollhaus vorbeifahren und Ihnen ausdrücklich sagen, was ich herüberbringe, und Sie werden doch nichts merken und daher auch keinen Zoll erheben. Ich wette einen Machandel gegen meine Marjell — gilt's?”

„Ich wiederhole, Herr Romeicke,” erwiderte der Assistent ernst und würdig, „daß Sie ein frevles Spiel mit meinem Herzen und mit dem Ihrer Tochter treiben. Aber da mit Ihnen in einer Form, die dem wichtigen Gegenstande angemessen ist, nicht verhandelt werden kann — so bleibt mir nichts übrig, als diese törichte Wette einzugehen. Und verlassen Sie sich darauf, daß Sie verlieren werden!”

„Kann sein — kann auch nicht sein. Zur Bedingung mache ich noch, daß Sie uns bis zur Entscheidung nicht besuchen.”

„Herr Romeicke —!!”

„Bedingung! Basta!”

— — —

In den nächsten Wochen fand an der Grenze eine wahr Razzia auf den Halbhufner Jasch Romeicke statt. Wenn sich sein Fuhrwerk nur von weitem blicken ließ, wurde er abgelauert, umringtund durchsucht bis auf den letzten Knopf und den letzten Strohhalm im Wagen. Der Assistent Muschkat hatte noch privatim einen Preis ausgesetzt für jedes Stück Kontrebande, das bei Jasch Romeicke gefunden würde.

Aber man fánd nichts. Gar nichts. Mit seinem Banditenschmunzeln schaute der Alte den vergeblichen Bemühungen zu und freute sich wie ein Oktoberfuchs, wenn man ihn wieder einmal resultatlos abziehen lassen mußte.

Der Assistent war natürlich der verfolgungswütigste. Mit der Schärfe und Genauigkeit eines Inquisitionsrichters achtete er auf jedes Wort, das der Bauer sprach — denn hier lag die Pointe der ganzen verrückten Geschichte: Jasch Romeicke wollte sich ja direkt äußern.

Aber er äußerte sich nicht. Gar nicht. Er gab jede gewünschte Auskunft — sogar über das Befinden von Fräulein Brona, nach der der Assistent sich jedes Mal mit schwärmerischem Augenaufschlag erkundigte; weiteres war jedoch nicht aus ihm herauszubekommen.

Nun — jeder Eifer läßt nach, und das um so schneller, je energischer er sich anfangs betätigt hat. Die Beamten wurden es schließlich müde, sich von dem Alten auslachen zu lassen, und auf Herrn Muschkat wirkte etwas anderes erschlaffend ein.

Er hielt das Fernsein von der Geliebten nicht mehr aus. Seit jenem Tage, da er die alberne Wette eingegangen war, hatte er sie nicht mehr gesehen. Nach und nach wurde ihm dieser Zustand unerträglich — und er war schon dicht daran, die Bedingung zu brechen und den Hof zu besuchen, als ihm nach einem Patrouillenritt die Meldung wurde, daß Herr Romeicke und Fräulein Brona im vollsten Sonntagsstaat über die Grenze gefahren wären, um eine Freundin des jungen Mädchens zu einem Familienfeste abzuholen.

Anton Muschkat wußte nicht, ob er sich die Haare ausraufen oder sich prügeln sollte. Nun war das liebe Mädel hier langgefahren, und er hatte es nicht gesehen! Wie mochte es nach ihm ausgeschaut haben! Was mußte sie von ihm denken, daß er nach den langen Wochen der Trennung diese Gelegenheit nicht benutzt hatte, ihr die Hand zu drücken und sie seiner Liebe zu versichern!

Schließlich tröstete er sich mit der Gewißheit, daß sie ja wieder vorbeikommen mußte.

Er hatte eine Kommission in Schmalleningken. Selbstverständlich gab er sie auf und betraute einen anderen Beamten damit. Des weiteren trug er Sorge, daß er ziemlich allein blieb im Zollhause, auf daß man ihm die Erregung nicht anmerkte und das Glück beim Wiedersehen.

Tatsächlich befand er sich in einer fieberhaften Aufregung — und das je länger desto mehr. Kopf und Herz waren erfüllt von Erwartung, von dem, was er sagen würde, was sie sagen würde, und ob es nicht gut wäre, ein paar Rosen zu besorgen aus dem Stationsgarten.

Endlich! Nach drei Stunden, die der Zollamts-Assistent Anton Muschkat in einem unbeschreiblichen Zustande verbracht hatte, näherte sich Romeickes Fuhrwerk der Grenze. Er war es wirklich! Und zwar fuhr er nicht seinen alten Kälberwagen, von dem der Assistent nachgerade jeden Splitter kannte, sondern die gute Halbchaise, die nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt wurde. Vorn auf dem Kutscherbock saß er selbst — und hinten, neben einer jungen Russin — — sie, die so qualvoll Vermißte, Heißersehnte!

Anton Muschkat schlug das Herz bis in den Hals hinein. Aber wenn man sich etwas sehr lebhaft vorher ausgemalt hat, so kommt es immer anders. Er wußte seine Aufregung und Verlegenheit zunächst nicht besser zu verbergen, als durch ein amtliches Gesicht.

„Guten Abend, meine Herrschaften,” sagte er, indem er die zitternde Rechte an die Dienstmütze führte; „nichts Verzollbares —?

„Außer den beiden Gänsen dahinten nichts,” erwiderte Romeicke, indem er mit der Peitsche hinter sich wies.

„Aber Herr Romeicke!” rief der Assistent indigniert, indem er herantrat und das ihm entgegengestreckte Händchen Fräulein Bronas an die Lippen zog. „Wie können Sie die jungen Damen so bezeichnen! Wie geht es Ihnen? Wir haben uns lange nicht gesehen, Fräulein Brona — ich habe so oft an Sie gedacht — und — —”

„Mannche, trautstes —” schnitt der Alte weitere Herzensergüsse ab, „wir haben jetzt wenig Zeit. Aber kommen Sie doch morgen zum Mittagessen zu uns, dann können Sie sich weiter unterhalten.”

„Herr Romeicke!” rief Anton Muschkat beglückt. „Darf ich wirklich!?”

„Natürlich dürfen Sie — wird uns eine Ehre sein! 'n Abend, Herr Muschkat!”

Noch ein Gruß — ein Peitschenknall — und das Fuhrwerk rollte unter dem Schlagbaum durch.

— — —

„Na — wie schmeckt Ihnen die Gans?” fragte der Bauer am nächsten Tage seinen Gast, der strahlend zwischen den beiden jungen Mädchen bei Tisch saß.

„Famos! Delikat! Ganz ausgezeichnet! Habe selten so etwas Zartes gegessen!”

„Freut mich. Mit den russischen Gänsen ist das nämlich sonst so 'ne Sache — —”

„Russische Gänse? Ist denn das — —?”

„Eine russische Ganz, allerdings. Und zwar gestern erst rübergekommen — — ausdrücklich angemeldet und doch unverzollt.”

Dem unglücklichen Zöllner blieb der Bissen im Munde stecken. Nachdem er ihn hinuntergewürgt, stotterte er:

„Da meinten Sie also gestern —”

„Die geschlachteten Gänse, die im Sitzkasten lagen — und nicht die lebendigen die Sie im Auge hatten.”

„Allmächtiger —!”

„Nu regen Sie sich man nicht weiter auf, Goldchen,” lachte der Alte und schob ihm mit seinem Banditenschmunzeln die lecker braune Gans dichter unter die Nase. „das ist Ihr Verlobungsbraten, — und wenn ich erst der Schwiegervater eines königlichen Beamten sein werde, soll's nicht wieder vorkommen.”

— — —